Landtagswahl in NRW – Am 15. Mai 2022 werden die Karten neu gemischt
100 Tage Zeit für Argumente, Bilanzen und Versprechungen
KOMMENTAR | von Michael H. Schmitt | Am 15. Mai 2022 sind rund 12 Millionen Wahlberechtigte in Nordrhein-Westfalen aufgefordert, in 128 Wahlkreisen ihre Stimme abzugeben und ein neues Parlament zu wählen. Bis dahin verbleiben den Spitzenpolitikerinnen und -politikern der Parteien noch genau 100 Tage Zeit, durchs Land zu ziehen und bei Wahlveranstaltungen den nordrhein-westfälischen Bürgerinnen und Bürgern zu erklären – wie vor jeder Wahl – warum ausgerechnet sie die richtigen sein werden, das bevölkerungsreichste Land der Republik in den kommenden Jahren anzuführen.
Sie werden – wie in jedem Wahlkampf seit Gründung des Landes vor 76 Jahren – über die herausragenden Leistungen der vergangenen Legislaturperiode genauso selbstverständlich reden wie über das, was in den kommenden Jahren beabsichtigt und fürs Land vermeintlich gut ist. Dass sie dabei versuchen, eigene Fehlentscheidungen der Vergangenheit unter den Tisch zu kehren – wer will es ihnen verdenken?
Zugegeben: Die letzten beiden Jahre seit Beginn der Corona-Seuche waren alles andere als einfach. Niemand aus der Regierungsmannschaft konnte eine Blaupause aus der Schublade ziehen, niemand wusste, was da genau auf die Menschen zurollt und welche Konsequenzen das für Jedermann mit sich bringen würde.
Doch neben der Pandemie gab es in der vergangenen Legislaturperiode Ereignisse und Entscheidungen (auch den ein oder anderen handfesten Skandal), die in den kommenden 100 Tagen auf den Tisch kommen werden und für die es am Wahlsonntag (15. Mai 2022) die Quittung von Wählerinnen und Wählern geben wird. Getroffene Entscheidungen am Hambacher Forst mit all den Nebenwirkungen werden genauso dazugehören wie ein lachender Ex-Ministerpräsident Armin Laschet während der Flutkatastrophe. Schulministerin Yvonne Gebauer wird sich verantworten müssen für ihre desaströse Schulpolitik genauso wie Familienminister Joachim Stamp für seine holprigen kita- und familienpolitischen Entscheidungen. Auch mit Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann wird das Wahlvolk für unzählige, wankelmütige Entscheidungen und missverständliche Auslegungen der vom Bund vorgegebenen Rahmenrichtlinien während der Pandemie ins Gericht gehen. Die landauf, landab marode Infrastruktur – kurz vor dem Einsturz stehende Autobahnbrücken inklusive – wird den Spitzenpolitikern ebenso vor die Füße fallen wie die ausufernde und alles lähmende Bürokratie bei der Flutopferhilfe und bei den finanziellen Ausgleichzahlungen für die vielen Branchen, die nach wie vor unter den Auswirkungen der Pandemie leiden.
Die Strategien der Koalitionspartner sind in vielen Bereichen in der ablaufenden Legislatur nicht aufgegangen. Die Oppositionsparteien kritisieren jede Maßnahme der Regierungsparteien, ohne mit wirklich schlagkräftigen Alternativangeboten zu überzeugen. Es dürfte somit allen Spitzenpolitikern schwer fallen, plausible Erklärungen für das teilweise kollektive Versagen der vergangenen fünf Jahre zu finden. Die Bilanz in Nordrhein-Westfalen fällt nach fünf Jahren in beinahe allen Ressorts wenig erfreulich aus. In der Klima-, Energie-, Finanz- und Verkehrspolitik werden am Wahltag die Uhren genauso auf Null gestellt wie in der Schul- und Gesundheitspolitik. Auch (oder vor allem) die Landwirte werden den Bleistift zur Hand nehmen und bilanzieren, welche Veränderungen sie seit der letzten Wahl im Jahr 2017 hinnehmen mussten. Und auch da stehen unter dem Strich ausschließlich rote Zahlen.
In den kommenden Wochen werden nun also wieder unzählige und kostspielig erstellte Plakate an den Straßenrändern aufgehängt, viele Flyer, bunte Fähnchen und Luftballons an den Wahlkampfständen verteilt. Ob all dies helfen wird, die Versäumnisse der Politik aller etablierten Parteien zu kaschieren, darf bezweifelt werden. Mit Spannung darf somit vor allem erwartet werden, ob der Ministerpräsident des Landes NRW am Abend des 15, Mai 2022 immer noch Hendrik Wüst heißen wird oder ob der Mann aus Rhede schon nach wenigen Monaten im Amt landespolitische Geschichte sein wird.