Kommentar | Des Kanzlers Doppel-Wumms und Lindners „atmender Gaspreisdeckel“

Kommentar | Des Kanzlers Doppel-Wumms und Lindners „atmender Gaspreisdeckel“
Energie- und Lebenhaltungskosten belasten immer mehr Menschen - Symbolbild

Die an Klamauk und Comic erinnernde Rhetorik der Bundespolitik ist die eine Sache – das Liefern eine andere

Ein Kommentar von Michael H. Schmitt | Seit dem 24. Februar 2022, dem Tag des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine, mussten wir uns gezwungener Maßen an immer neue, bis dato einzig in den Geschichtsbüchern Verwendung findende, Begriffe gewöhnen. Rund um die Uhr werden wir in allen Medien mit Kriegsrhetorik konfrontiert. Die Rede ist dabei von Schlachtfeldern, Frontverläufen, Eroberungen und der täglich wiederholten Forderung nach Lieferung „schwerer Waffen“. Nun scheint sich die Situation durch Äußerungen von Wladimir Putin immer weiter zu verschärfen. Plötzlich lesen wir wiederkehrend Schlagzeilen, die sich mit der Möglichkeit einer Kriegsführung unter Einsatz nuklearer Massenvernichtungswaffen, so genannter „taktischer Atomwaffen“, beschäftigen. Schnell ist der Begriff „Nuclear Messaging“ in aller Munde.

Diese Nachrichten sind verstörend, schüren Ängste. Nicht nur in der Ukraine, sondern auch hier, fernab der Stellungen, an denen täglich unzählige Menschen ihr Leben lassen. Die genaue Anzahl der gefallenen Soldaten und derer, die als Zivilpersonen in den umkämpften Gebieten ums Leben gekommen sind, darüber gibt es kaum verlässliche Angaben. Und im Prinzip spielt das auch keine Rolle, denn jedes Todesopfer, das in diesem völkerrechtswidrig geführten Krieg zu beklagen ist, ist eines zu viel. Und die Ereignisse wirken sich immer mehr auf das Leben der Menschen in ganz Europa und darüber hinaus aus. Energieknappheit, steigende Preise und Rohstoffverknappung sowie Hunger in großen Teilen der Welt aufgrund ausbleibender Getreidelieferungen sind nur einige der spürbaren Kriegsfolgen weit außerhalb des Kriegsgebietes.

Während also die Menschen entlang der Frontlinie in ständiger Todesangst leben und sich Überlebensstrategien für den nahenden Winter ausdenken müssen, arbeitet sich die deutsche Politik an Energiesparplänen ab und wird dabei nicht müde, immer neue Wortschöpfungen heranzuziehen, die der Bevölkerung suggerieren sollen, dass man alles im Griff habe. Der Kanzler spricht angesichts des Entlastungspaketes in Höhe von 200 Milliarden Euro von einem „Doppel-Wumms“, während Finanzminister Linder unaufhörlich den Begriff „Abwehrschirm“ bemüht und, als wären diese Begriffe nicht schon übel genug und weit außerhalb des üblichen, politisch korrekten Sprachgebrauchs, dann auch noch einen „atmenden Gaspreisdeckel“ erfindet. Letztlich gipfelt das überhastete Mittelungsbedürfnis darin, den Steuerzahlern vorzugaukeln, dass die 200 Milliarden Euro einem Sonderfond entnommen werden sollen und im kommenden Jahr die Schuldenbremse dennoch einzuhalten sei. Klar ist, dass dieses Entlastungspaket die Staatsverschuldung weiter nach oben katapultiert, ganz gleich, welchen Hut der FDP-Minister benutzen wird, aus dem er den Betrag zaubern will.

Und während die Damen und Herren in den Staatskanzleien und Ministerien sich selbst für ihre erarbeiteten Pläne feiern, die den Bürger*innen und Unternehmen die längst überfällige Entlastung bringen sollen, laufen die Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen Sturm gegen die Ampel-Koalition. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst reiht sich da ein und fordert unisono mit seinen Amtskolleginnen und Kollegen den Bund auf, „Butter bei die Fische“ zu tun und endlich genau zu definieren, wie das Entlastungspaket zur Verteilung kommen und wer in welcher Höhe davon profitieren soll. Diese Antworten sind bislang alle Bundes-Koalitionäre mit dem Hinweis auf eine neu gebildete Kommission, die sich „in nächster Zeit“ dazu äußern wird, schuldig geblieben. Ein genauer Zeitpunkt für die Bekanntgabe des Kommissionsergebnisses ist nicht bekannt.

Drängt sich in diesem Zusammenhang also die Frage auf, ob in Berlin nicht erneut der zweite vor dem ersten Schritt gemacht wurde. Wäre es nicht klüger gewesen, erst die Experten-Kommission arbeiten zu lassen und dann den Menschen im Land ein belastbares Ergebnis zu verkünden? Denn das medienwirksame Verkünden von Überschriften bei gleichzeitigem Weglassen des Inhaltstextes stellt niemanden zufrieden. So heilt man keine Wunden – erst Recht nicht bei denen, die bereits mit dem Rücken zur Wand stehen.

Unzählige Betriebe stehen mittlerweile vor haushoch aufgetürmten Problemen. Viele von ihnen ziehen in Erwägung, ihre Arbeit, ihren Betrieb einzustellen und ihre Mitarbeiter*innen nach Hause zu schicken. Im gleichen Maße sind Millionen Haushalte kaum in der Lage, die immer rasanter steigenden Lebenshaltungs- und Energiekosten abzufedern – und es werden täglich mehr. Nicht nur der Bund muss schnell liefern, sondern auch die Länder. Da reicht es nicht aus, wenn sich führende Politiker aus Bund und Ländern in den TV-Talkshows die Klinke in die Hand geben und dort immer neue Ideen präsentieren, anstatt diese in die entsprechenden Gremien einzubringen und auch umzusetzen. Auch immer neue Vorwürfe der Opposition in Richtung der Ampelkoalition sind da wenig zielführend. Die Menschen landauf landab haben diese Art der Politik völlig zu Recht satt und brauchen schnellstmögliche, unbürokratische Hilfe- und zwar jetzt und nicht erst in ein paar Wochen.

Diese Erkenntnis scheint allerdings bislang nicht in die Köpfe der Entscheider gedrungen zu sein, denn nach wie vor wird über alle erdenklichen Maßnahmen geredet und gestritten, werden neue Strategien und Abwehrschirme ausgedacht sowie der „Doppel-Wumms“ und „atmende Gaspreisdeckel“ erfunden. Leider ist es bisher für die meisten Haushalte bei diesen Ankündigungen und Phantasiegebilden geblieben – nicht mehr und nicht weniger. Und bei aller – vielleicht auch berechtigten – Kritik: Zugutegehalten werden muss den regierenden Protagonisten dennoch, dass es für die Bewältigung dieser weltweiten Krise keine Blaupausen gibt. Alle Maßnahmen, die die Regierungs-Koalition auf den Weg gebracht hat, mussten in kurzer Zeit neu erdacht, ausgearbeitet und durch die Gesetzgebungsverfahren gepeitscht werden. Insofern sind dann ach so kluge Hinweise der Oppositionsparteien jedweder Couleur einfach nur obsolet. Anpacken und machen – gemeinsam. Das ist das, was in diesen Stunden die Menschen brauchen und nicht das sonst übliche, parteipolitische Geplänkel.