Oblaten-Pater Marek Dziedzic berichtet vom Leben im Ukraine-Krieg

Oblaten-Pater Marek Dziedzic berichtet vom Leben im Ukraine-Krieg
Pater Marek Dziedcik OMI berichtete über das Leben in der Ukraine - Foto: mhs

Rund 30 Interessierte waren nach Weseke ins Pfarrgemeindehaus gekommen

WESEKE | bd/mhs | Pater Marek Dziedzic OMI wirkte als Priester in der Sippelgemeinde, bis ihn sein weiterer Weg in die Oblaten-Kommunität nach Lwiw (Lemberg)/Ukraine führte. Nun war er für kurze Zeit nach Weseke zurückgekehrt und nutzte die Gelegenheit, von seinem Leben und Wirken im Kriegsgebiet zu berichten. Rund 30 überwiegend lebensältere Menschen waren dazu ins Pfarrgemeindehaus an der St. Ludgerus-Kirche gekommen – und es war still, sehr still. Denn das, worüber der Priester berichtete, ist nur in wenigen Teilen deckungsgleich mit dem, was wir aus den täglichen Nachrichten-Sendungen wissen.

„Fotos oder Videos vom Leben in der Ukraine kann ich Ihnen heute leider nicht zeigen. Es wäre zu risikoreich gewesen, derartige Informationen über die Grenze zu transportieren“, beginnt er seinen Vortrag nach einem Friedensgebet.

Die Schilderungen des Priesters, die im Anschluss folgen, machen betroffen. Es sind Schilderungen vom Leben in einem Krieg, der am 24.02.2022 begann und dessen Ende mit all den verheerenden und schrecklichen Folgen längst nicht absehbar ist. Deutlich wird in dem rund einstündigen Vortrag vor allem, dass die Bilder, die hierzulande täglich über die Medien in unsere Wohnstuben gelangen, nur bruchstückhaft das tatsächliche Leben in der Ukraine widerspiegeln.

Dunkelheit ist bedrückend

„Bedrückend ist vor allem die Dunkelheit. Kein Licht, keine Heizung. Selbst die Ampeln in den Straßen funktionieren nicht, was regelmäßig für Verkehrschaos sorgt. Zwischendurch immer wieder Alarmmeldungen, die das Leben arg einschränken. Die Meldungen über zu erwartende Angriffe kommen entweder übers Handy, sofern man Empfang hat, oder über die Sirenen in der Stadt. Mit Eintreffen der Meldungen geht dann nichts mehr. Das Leben steht still und die Menschen flüchten sich in die Keller oder Schutzräume. Niemand weiß, wie lange man sich dann in den feuchten, kalten und schlecht riechenden Räumen verkriechen muss, bis der Alarm wieder aufgehoben wird.“

Wie geht die Bevölkerung mit den Einschränkungen um? „Angst verursachen die Meldungen über bevorstehende Angriffe kaum noch. Gleichgültigkeit wäre die richtige Einschätzung. Man stumpft ab. Manchmal, wenn ich vielleicht bei einem Alarm gerade in der Kirche bin, bleibe ich dort und bete, auch, wenn dann der Aufenthalt dort eigentlich verboten ist. Die Menschen sind aufgefordert, sich in Keller oder Schutzräume zu begeben.“ Und die Alarmmeldungen kommen immer überraschend – zu jeder Tages- und Nachtzeit, beschreibt Dziedzic weiter.

Pater Marek Dziedzic während seines Vortrages – Foto: mhs

Er berichtet aber auch von verwundeten Soldaten, die bettelnd am Straßenrand sitzen. Manchen fehlt das Augenlicht, anderen wurden Gliedmaßen abgerissen. Dies sind die für Jedermann sichtbaren Folgen des brutalen Angriffskrieges, der nun fast ein Jahr andauert und im Osten des Landes härter als je zuvor tobt. Auch über die hohe Anzahl gefallener Soldaten oder bei Angriffen ums Leben gekommener ziviler Opfer verliert er einige Worte. Es sind seiner Einschätzung nach sehr hohe Zahlen an Opfern, auf beiden Seiten. Über genaue Zahlen gefallener Soldatinnen und Soldaten ließe sich nur spekulieren. Sie werden in der Ukraine nicht veröffentlicht. Erst Tage später erfahren die Angehörigen der Gefallenen, dass ihre Kinder, Männer, Frauen, im Kampf ums Leben kamen. „Nicht selten vergehen zehn Tage oder mehr, bevor die Menschen vom Schicksal ihrer Liebsten erfahren. Wie schrecklich die Kämpfe entlang der Front tatsächlich sind, darüber wird weitestgehend Stillschweigen bewahrt. Insofern ist die Informationspolitik da nicht ehrlich. Über die Sender, sofern sie denn funktionieren, wird andere Propaganda gemacht. Da wird viel von der Stärke der Ukrainer gesprochen und Durchhalteparolen ausgegeben. Opferzahlen werden lieber verschwiegen. Wohl auch deshalb, um Aufständen vorzubeugen.“

Dziedcik verschweigt aber auch nicht, dass in einigen Gebieten der Ukraine sich die Menschen mehr der russischen Föderation als der Ukraine zughörig fühlen. Der Donbass sei historisch betrachtet eher Russland als Ukraine. Diese Tatsache mache die politische Lage im Osten des Landes umso schwieriger.

Die Lebensumstände der Menschen in der kleinen Pfarrgemeinde in Lwiw sind von Armut geprägt. Die Versorgung mit Lebensmitteln funktioniere zwar, nur leisten können sich die meisten Menschen die extrem teuer gewordenen Waren nicht mehr. „Man muss sich vorstellen, dass zum Beispiel eine pensionierte Lehrerin rund 4.000 Hrywnja (das sind rund 100 Euro) an Bezügen erhält. Davon muss sie ihren gesamten Lebensunterhalt bestreiten, inklusive Miete, Müllabfuhr und mehr. Dass dies vorne und hinten nicht ausreicht, mag man sich vorstellen, zumal die Preise für alle Güter seit Beginn des Krieges drastisch angestiegen sind.“

Nicht alle Hilfsgüter kommen an

Dziedzic berichtet auch davon, dass nicht alle Hilfsgüter, die von Polen aus über die ukrainische Grenze rollen, die bedürftigen Menschen erreichen. Viele Waren verschwinden spurlos und werden dann an anderer Stelle für hohe Preise verkauft. Medikamente gebe es zwar, aber leisten können sich viele Bedürftige auch diese nicht. Immer wieder sei zu beobachten, dass einzelne Tabletten in den Apotheken verkauft würden und nicht wie hierzulande, ganze Packungen. Die medizinische Versorgung sei teilweise prekär. So setze man bei vielen Erkrankungen auf die Hilfe von Angehörigen. Hat man keine helfenden Mitmenschen, bleibt oftmals nur das Sterben. Dies sei die furchtbare Realität in weiten Teilen des gebeutelten Landes.

Schulen und Kindergärten funktionieren in weiten Teilen des Landes nicht mehr. Man habe zwar versucht, Unterricht im Homeschooling abzuhalten, was allerdings an den fehlenden Internetverbindungen scheiterte. Kein Strom – kein Internet.

Kampfhandlungen gebe es in der Region im Westen der Ukraine aktuell keine. Und dennoch darf sich niemand in Sicherheit wägen. Abseits der Verkehrsadern seien große Flächen der Felder und Wälder vermint. „Es ist ratsam, die Straßen nicht zu verlassen. Schon am Straßenrand haben die Besatzer Minen hinterlassen.“

Schon am kommenden Montag (30. Januar 2023) kehrt Pater Marek Dziedzic wieder zurück nach Lwiw und wird seine Arbeit in der Kommunität gemeinsam mit einem weiteren Oblaten-Priester wieder aufnehmen. Er will sich auch weiterhin um die verbliebenen Mitglieder in seiner Gemeinde kümmern und Hilfe leisten, wo Hilfe benötigt wird, wenngleich die Gemeinde immer mehr schrumpft. Von den ehemals rund 150 Mitgliedern seien aktuell nur noch dreißig vor Ort. „Alle anderen sind in westliche Länder geflüchtet. Und die Zahl der flüchtenden Menschen steigt nach wie vor an“, schließt er seinen Vortrag ab.

Bei den wenigen Wortmeldungen aus dem kleinen Auditorium wurde deutlich, dass der Wunsch nach Frieden die Menschen hierzulande weit mehr beschäftigt als die Frage, welche Waffen in welcher Anzahl in das Kriegsgebiet geliefert werden sollen.


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