Kommentar zur Berichterstattung über das Erdbeben in der türkisch-/syrischen Grenzregion

Kommentar zur Berichterstattung über das Erdbeben in der türkisch-/syrischen Grenzregion
Berichterstattungsform zum Erdbeben macht nachdenklich - Symbolbild

Unangemessen sensationelle Berichterstattung auf allen Kanälen

Meinung von Michael H. Schmitt | Die Meldungen, die aktuell die Nachrichtensendungen beherrschen, sind an Grausamkeit kaum noch zu überbieten. Kaum eine Minute des Tages vergeht, ohne dass es nicht wieder bedrückende und erschütternde Bilder aus den Krisenregionen in der Ukraine, der Türkei oder Syrien gibt. Mit brutaler Nähe wird das Schicksal vor allem derer in die deutschen Wohnstuben geholt, die alles verloren haben, was Menschen in ihrem Leben verlieren können – außer ihrem eigenen Leben.

Da wird in Dauerschleife und aus einer unfassbar geringen und sehr intimen Distanz das Bild eines trauernden, türkischen Familienvaters gezeigt, der die Hand seiner verschütteten und offenbar ums Leben gekommenen Tochter nicht mehr loslassen möchte. Das Foto geht um die Welt und soll die Grausamkeit der Erdbebenfolgen zeigen. Alle Nachrichtenkanäle nutzen dieses Foto, schlachten diese Szene bis zur Unerträglichkeit aus und berichten in epischer und, wie ich meine, völlig unnötiger Länge von diesem Einzelschicksal. Millionen Menschen werden dieses Bild in den kommenden Monaten nicht mehr aus dem Kopf bekommen – und wahrscheinlich gehört der Fotograf zu den kommenden Aspiranten auf den Pulitzer-Preis.

Zweifelsohne gehören Berichterstattungen über die Geschehnisse in dem Katastrophengebiet zum Auftrag der Nachrichtenredaktionen. Dass manch ein Berichterstatter, der sich trotz der Gefahren für sein eigenes Leben freiwillig in das Katastrophengebiet begibt und für die einschlägigen Nachrichtensendungen vor laufender Kamera berichtet, weit über das Ziel seines Auftrages und die journalistischen Regeln hinausschießt, nimmt offenbar kaum mehr jemand zur Kenntnis.

Eine Entwicklung, die ich für sehr bedenklich halte. Laut Definition des Deutschen Presserates ist “eine Darstellung unangemessen sensationell , wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn über einen sterbenden oder körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgehenden Art und Weise berichtet wird.” Zitat Ende. Schlimmer noch: In der Richtlinie 11.3 des Pressekodex ist explizit über die Arbeit bei Unglücksfällen und Katastrophen die Rede. Dort heißt es: “Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.”

Mag nun jeder für sich entscheiden, ob der Journalismus, wie er aktuell auf vielen Kanälen praktiziert wird, der richtige Weg ist. Ich bin der Meinung – nein. Dieser Weg ist der Falsche. Programmverantwortliche und Leiter der Redaktionen sind aufgefordert, ihre Berichterstatter zurückzupfeifen und anzuhalten, sich auf die journalistischen Inhalte und weniger auf sensationelle Bilder zu konzentrieren. Vor allem deshalb, weil hierzulande viele tausend Menschen leben, die Verwandte in den betroffenen Erdbebenregionen haben und kaum etwas kann schlimmer sein, wenn diese aus den Medien vom Schicksal ihrer nahestehenden Angehörigen oder Freunde erfahren.


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